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Die Balance ist nicht eine Art Mitte – sie schwebt über der Mitte und wird oft nicht gesehen
Normallogik verortet eine Balance irgendwo "in der Mitte" eines vorgestellten Kontinuums. Da ist sie nicht; dort sind die Kompromisse. Die kann man beschreiben, aber Balance muss systemisch verstanden werden. Sie ist den Unternehmen in vielen Aspekten verloren gegangen: Auslastung wurde zur Überlastung, Innovation zu Einsparungs-Manie; ade Vertrauen, gutes Betriebsklima und Kundenfokus. Es herrscht die irre Überzeugung, jede Art von "Rückkehr" zur Vernunft kostet Geld. Nein! Ein kompromissloser Aufruf zum Blick aus dem Jammertal.
Zielpublikum: Alle
Voraussetzungen: Normale Projekterfahrung
Schwierigkeitsgrad: Fortgeschritten
Extended Abstract:
Niedere Wissenschaft und landläufige Normallogik verorten eine Balance irgendwo "in der Mitte" eines vorgestellten Kontinuums. Da ist sie nicht; dort sind die Kompromisse. Die kann man beschreiben, aber Balance muss systemisch verstanden werden. Natürlich hat Aristoteles so eine Mitte zwischen Extremen beschrieben: mesotes - kein Übermaß, kein Mangel. Platon lässt Sokrates aber viel systemischer über Sophrosyne diskutieren, um weise Selbstbeherrschung, Besonnenheit und Maß als einen guten (tugendhaften) Zustand zu verstehen. Da geht es eben um dieses "Ganze über den Teilen", das es sich nicht mit einer bloßen "Kein-Mangel-kein-Übermaß-Betrachtung" zu einfach macht.
Der exzessive Fokus auf Gewinne hat zum Verlust von Sophrosyne geführt; es wurde an einer einzigen Stelle ein Überfluss zu erzeugen versucht, der überall sonst im Mangel mündete. Ein gutes Unternehmen aber hat alles im Lot, im Maß und in der Balance: gute Kundenbeziehungen, Vertrauen, Wohlfühlklima, Innovation etc. UND Gewinn. Das unbesonnene Unternehmen mag eine Zeit lang Gewinne scheffeln, verausgabt sich aber und endet vielleicht schnell in einem Burnout.
Es hat schon in den 90er Jahren Warner gegeben, die den Verlust der Balance anprangerten. Es wurde eine Weile Mode, sogenannte Balanced Scorecards einzuführen. Die Unternehmen wollten sie aber nicht nutzen, um in der Balance zu bleiben, sondern um noch MEHR Gewinn zu erzielen. Dieses Laster leg(t)en sie nicht ab ... Heute gibt es Hype um Resilienz und der Balance ähnliche Hypes, die wieder nur den Fokus auf "das Eine" nicht lassen: Gewinnsteigerung.
Diesen Ganz-Zustand der Sophosyne muss man systemisch verstehen, um ihn zu erreichen oder um wieder zu ihm zurückzukehren, wenn Innovation, Exzellenz etc. verloren gingen, keine Reserven mehr da sind und geschundene Mitarbeiter innerlich kündigen.
Wie kehrt man zurück? Die Unternehmen schaudern vor dem Gedanken, den erkannten und beraterbestätigten Mangel bei der Mitarbeiter-Bezahlung, im Kundenvertrauen oder bei Innovationen zu beheben - für sie sieht es nach einem finanziellen Desaster aus, dessen Erfolg ihnen zudem vollkommen ungewiss erscheint. Sie scheuen die Balance, weil sie sie nicht mehr verstehen.
In meinem letzten Buch ("Keine Sinnfragen, bitte!") habe ich diesen Missstand in einem Wort zusammengefasst: "das Ausreichend-Unternehmen". Es versteht das Ganze nicht, versteht nicht, dass man es verstehen sollte, und vergrätzt die letzten vorhandenen "Einser-Mitarbeiter", die enttäuscht und ohne Hoffnung gehen. Es fixt nur noch Probleme, um nicht zu einem Mangelhaft-Unternehmen zu verkommen. Es erhebt nicht mehr den Blick zur Balance. Es fokussiert sich auf das Kontinuum zwischen "null Fehler" und "viele Fehler".
Wie kommen Unternehmen da heraus? Ich habe oft zu erklären versucht, dass ein guter Schüler ("Balance") weniger arbeiten muss als einer, dessen Versetzung bedroht ist und der Nachhilfe bekommt. Nicht einmal diese Wahrheit wird als solche erkannt. Ich bekomme die Antwort, dass die guten Schüler eben Talent hätten. Das kann sein, aber eigentlich leben sie "besonnen", was der Ausreichend-Schüler nicht versteht und zudem meist als eine lustfeindliche Haltung (zu wenig Gewinn) ablehnt.
Balance heißt nicht, mehr nach rechts oder links zu rücken. Meist müssen "die Gewohnheiten neu geprägt werden". Vielleicht ist das doch eine Art Intelligenz-Unterschied? Zwischen gut und ausreichend? Zwischen Agilität und "Wasserfall"? Dann wäre die Balance als Mitte verstanden das, was jeder versteht, aber Sophrosyne läge höher?
Gunter Dueck (Jahrgang 1951) lebt als freier Schriftsteller, Philosoph, Business Angel und Speaker bei Heidelberg. Nach einer Karriere als Mathematikprofessor arbeitete er fast 25 Jahre bei der IBM, zuletzt bei seinem Wechsel in den Unruhestand als Chief Technology Officer. Er ist für humorvoll-satirisch-kritisch-unverblümte Reden und Bücher bekannt, zuletzt „Schwarmdumm“, „Heute schon einen Prozess optimiert?“ und „Keine Sinnfragen, bitte!“
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